Aspekte unter besonderer Berücksichtigung der Aminosäuren
Wegen seines hohen Sauerstoffverbrauchs ist das Gehirn besonders anfällig gegenüber oxidativen Veränderungen. Altersassoziierte pathophysiologische Veränderungen sind mit einer erhöhten Oxidationsrate zellulärer Moleküle verbunden. Auch Entzündungsprozesse können im Gehirngewebe oxidativen Stress verursachen. Durch die diabetische Stoffwechsellage kommt es zu einer intrazellulären Anreicherung von Sorbitol in den Neuronen. Die daraus resultierenden osmotischen Zellschäden führen zu der diabetischen Neuropathie. Proteine des Myelins können bei einer Hyperglykämie mit der Glukose reagieren, unter Bildung von AGEs.
Homocystein ist nicht nur ein Risikofaktor für Gefäßerkrankungen, sondern wirkt in mehrfacher Hinsicht neurotoxisch: Es kann z.B. durch eine Interaktion mit NMDA-Rezeptoren excitotoxische Effekte entfalten. Hohe Homocysteinkonzentrationen sind mit niedrigen Konzentrationen von S-Adenosylmethionin (SAM) assoziiert. Dies führt zu gestörten Methylierungsreaktionen, die die Neurotransmittersynthese betreffen sowie die Bildung von Membranphospholipiden und von Myelinscheiden. Die Synthese und das Recycling von Tetrahydrobiopterin (BH4) erfordert normale Folsäurekonzentrationen. Bei niedrigen BH4-Spiegeln ist der Metabolismus der Monoamin-Neurotransmitter beeinträchtigt. Homocystein fördert die Bildung von Hydroxylradikalen und vermindert die Glutathionsynthese.
Wie aus zahlreichen Studien hervorgeht, sind erhöhte Homocysteinkonzentrationen mit verminderten intellektuellen Fähigkeiten, Gedächtnisstörungen und einer schlechten Stimmungslage assoziiert. Erhöhte Homocysteinkonzentrationen gelten inzwischen als eigenständiger Risikofaktor für Demenzerkrankungen. Patienten mit Alzheimererkrankung haben häufig niedrige Blutkonzentrationen von Vitamin B12 und Folsäure. Neben den erwähnten B-Vitaminen haben noch mehrere andere Mikronährstoffe einen neuroprotektiven Effekt, z.B. die Vitamine C und E, Coenzym Q, Alpha-Liponsäure, Carnitin, Omega-3-Fettsäuren, Selen etc. Eine besondere Beachtung sollten in diesem Zusammenhang auch die Aminosäuren finden, die ebenfalls ein erhebliches präventives und therapeutisches Potential bei neurologischen Erkrankungen haben:
Arginin
Arginin ist die Ausgangssubstanz für die Bildung von Stickstoffmonoxid (NO), das physiologischerweise zu Gefäßdilatation und Hemmung der Thrombozytenaggregation führt. Arginin hat einen protektiven Effekt gegen Gefäßerkrankungen. Der Argininverbrauch und –bedarf ist bei einer Hyperhomocyteinämie erhöht.
Cystein
Cystein ist eine schwefelhaltige Aminosäure mit einer freien SH-Gruppe; es ist die wichtigste Ausgangssubstanz für die Glutathionsynthese und hat aufgrund seiner chemischen Struktur antioxidative Eigenschaften. Die Cysteinkonzentration im Blutplasma spielt eine wichtige Rolle für die totale antioxidative Kapazität des Plasmas. Wie Studien gezeigt haben, kann eine Hyperhomocysteinämie zu einem Abfall der Cysteinkonzentration führen, was die toxischen Effekte des Homocysteins verstärkt.
Bei Alzheimerpatienten wurden verminderte Thiolkonzentrationen im Blutplasma nachgewiesen. Wegen seiner antioxidativen Eigenschaften hat N-Acetyl-Cystein (NAC) einen günstigen Einfluss auf neurodegenerative Erkrankungen, bei denen bekanntlich prooxidative Prozesse eine wichtige pathogenetische Rolle spielen. Auch bei der Multiplen Sklerose besteht meist ein Mangel an antioxidativen Wirkstoffen.
Glutamin
Glutamin ist die Aminosäure mit der höchsten Konzentration im Blutserum/ -plasma. In katabolen Stoffwechselzuständen, wie bei schweren neurologischen Erkrankungen, z.B. der ALS, kommt es zu einer Glutaminverarmung des Organismus, da der Glutaminbedarf die endogene Synthese übersteigt. In einer Studie zeigte eine Glutaminsupplementierung parallel zu einer totalen parenteralen Ernährung einen positiven Effekt auf die Stimmungslage der Patienten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Glutamin ist wie Glutaminsäure eine Ausgangssubstanz für die GABA-Synthese.
Es gibt Hinweise aus Studien, dass eine Glutaminsupplementierung das Verlangen nach Alkohol vermindert.
Glutaminsäure
Glutaminsäure ist der wichtigste excitatorische Neurotransmitter im ZNS und gleichzeitig auch Vorstufe des wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitters GABA. Glutaminsäure ist über NMDA-Rezeptoren am Prozess der Langzeitpotenzierung und dadurch an Lern- und Gedächtnisvorgängen beteiligt.
Eine Doppelblindstudie an Jugendlichen erbrachte den Nachweis einer zerebralen Leistungssteigerung durch Glutaminsäure. Das Konzentrationsvermögen und die Merkfähigkeit verbesserten sich nach einer mehrwöchigen Supplementierung. Glutaminsäure sollte nicht supplementiert werden bei Ischämien oder neurodegenerativen Gehirnerkrankungen, da sie in diesen Fällen neurotoxisch wirken kann.
Glycin
Glycin wirkt als inhibitorischer Neurotransmitter an glycinergen Synapsen. Diese befinden sich im Rückenmark und spielen eine wichtige Rolle für die Regulation der Willkürmotorik. Glycin-Supplemente wirken spasmolytisch. Glycin hat auch antiinflammatorische Eigenschaften. Bei Monozyten hemmt Glycin über eine Interaktion mit Chloridkanälen die Bildung proinflammatorischer Zytokine wie TNF-alpha und Interleukin 1.
Taurin
Taurin spielt eine wichtige Rolle für die normale Gehirnentwicklung. Deshalb enthält die Muttermilch relativ viel Taurin. Taurin ist eine wichtige Substanz für die Regulierung und Reduzierung der intrazellulären Calciumspiegel der Nervenzellen. Nach einer verlängerten Glutamatstimulierung kommt es bekanntlich zu Störungen der Calcium-Homöostase, die bis zur Zerstörung der Nervenzellen führen können (z.B. Apoplex). In diesen Situationen wird vermehrt Taurin von den Nervenzellen freigesetzt; das extrazelluläre Taurin verlangsamt den Calciumeinstrom in das Zellinnere und wirkt deshalb neuroprotektiv.
Es gibt Berichte über einen positven therapeutischen Effekt bei Alkoholentzugssymptomen. Ein Taurinderivat ist Acamprostat, das als Anticraving-Substanz nach einem Alkoholentzug pharmakologisch eingesetzt wird. Ein antiepileptischer Effekt von Taurin ist bisher nur tierexperimentell nachgewiesen. Diabetiker sollten auf eine ausreichende Taurinversorgung achten zur Vermeidung diabetischer Spätschäden.
Tryptophan
Tryptophan ist die Aminosäure, die am wenigsten in Nahrungsmitteln vorkommt. Es ist die Ausgangssubstanz für die Serotonin-/ Melatonin-Synthese. Die Serotoninsynthese ist abhängig von der Tryptophankonzentration im Blutserum und vom Mengenverhältnis des Tryptophans zu den anderen neutralen Aminosäuren.
Die Raphekerne im Gehirn enthalten die meisten serotoninergen Neurone und sind maßgeblich an der Regulation der Schmerzwahrnehmung beteiligt. Tryptophan kann als leichtes Analgetikum, z.B. bei Kopfschmerzen und Migräne verwendet werden, es vermindert generell die Schmerzempfindlichkeit.
Phenylalanin/ Tyrosin
Phenylalanin ist eine essentielle Aminosäure, aus der bei normalen Stoffwechselverhältnissen Tyrosin gebildet werden kann. Bei Lebererkrankungen, Phenylketonurie und bei Neugeborenen ist Tyrosin essentiell. Tyrosin ist die Vorstufe der Neurotransmitter Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. In Frühstadien der Parkinsonerkrankung ist eine Tyrosin-Supplementierung erfolgversprechend. Der Tyrosinbedarf ist deutlich erhöht bei Stresszuständen, in denen vermehrt Adrenalin und Noradrenalin vom Stoffwechsel gebildet und benötigt werden. Unter Stressbedingungen kann Tyrosin in einer Dosierung von 100 bis 150 mg/ kg Körpergewicht die Aufmerksamkeit und die Konzentrationsfähigkeit verbessern.
Bei Migränepatienten sind die Phenylalanin-Plasmakonzentrationen häufig erhöht. Durch eine Tryptophan-Supplementierung kann eine Senkung der Phenylalanin-Konzentration erreicht werden. Grundsätzlich werden Aminosäuren in der physiologischen L-Form supplementiert mit einer Ausnahme, nämlich DL-Phenylalanin. Diese Substanz blockiert Enkephalinasen im ZNS, also Enzyme, die Endorphine abbauen. Dadurch ist DL-Phenylalanin ein wirksames Schmerzmittel und kann zur Schmerztherpie, z.B. bei Muskelrissen und –zerrungen, Migräne und Arthritis, eingesetzt werden.
Eine Mikronährstoffanalyse bei neurologischen Erkrankungen liefert wichtige Daten für eine gezielte orthomolekulare Therapie. In der Praxis ist häufig eine Hyperhomocysteinämie bei neurodegenerativen Erkrankungen nachweisbar; die Arginin- und Cysteinkonzentrationen im Blutserum sind dann oftmals vermindert.
In vielen Fällen liegen bei Schmerzpatienten niedrige Tryptophankonzentrationen vor. Generell ist eine Tryptophansupplementierung bei vielen neurologischen und psychiatrischen Symptomen hilfreich, weil dadurch eine psychovegetative Stabilisierung erreicht wird. Bei schweren neurologischen Systemerkrankungen wie MS und ALS kommt es nicht selten zu einem Cystein-Glutaminmangelyndrom mit ausgeprägter proteinkataboler Stoffwechsellage. Herpesviren gehören zu den neurotrophen Viren, die für ihre Vermehrung Arginin als Nährsubstrat benötigen. Da Lysin sozusagen der „metabolische Gegenspieler“ von Arginin ist, können durch eine vermehrte Lysinzufuhr und Reduzierung argininreicher Nahrungsmittel, z.B. Nüsse Herpesrezidive vermieden werden.
Neben einer neuroprotektiven Therapie mit Vitaminen, Vitaminoiden und Spurenelementen sollten die Aminosäuren einen festen Platz in der orthomolekularen Behandlung neurologischer Erkrankungen einnehmen.
Referenzen:
- Uwe Gröber: Orthomolekulare Medizin, WVG 2002, 2. Auflage
- Michael J. Gibney et al.: Nutrition and Metabolism, NS Blackwell Publishing 2003, first edition
- Eric R. Bravermann, M.D.: The Healing Nutrients Within, Basic Health 2003, third edition
- Marco Mumenthaler, Heinrich Mattle: Neurologie, Thieme 2002, 11. Auflage
CO`MED Nr. 10/ 2004; Autor: Dr. med. Hans-Günter Kugler
Tryptophan ist die Aminosäure, die am wenigsten in Nahrungsmitteln vorkommt. Es ist die Ausgangssubstanz für die Serotonin-/ Melatonin-Synthese. Die Serotoninsynthese ist abhängig von der Tryptophankonzentration im Blutserum und vom Mengenverhältnis des Tryptophans zu den anderen neutralen Aminosäuren.
Die Raphekerne im Gehirn enthalten die meisten serotoninergen Neurone und sind maßgeblich an der Regulation der Schmerzwahrnehmung beteiligt. Tryptophan kann als leichtes Analgetikum, z.B. bei Kopfschmerzen und Migräne verwendet werden, es vermindert generell die Schmerzempfindlichkeit.