Glycin

Glycin ist die kleinste Aminosäure und wurde früher meist den nicht essenziellen Aminosäuren zugerechnet. In der neueren Fachliteratur wird Glycin als bedingt essenziell eingestuft, nachdem es immer mehr Hinweise dafür gibt, dass die endogene Glycinsynthese den Bedarf nicht immer ausreichend decken kann.

Glycin ist ein häufig verwendeter Baustein von Proteinen und Ausgangssubstanz für die Bildung zahlreicher Metabolite:                                         
  • Glutathion
  • Cholin
  • Porphyrine
  • Purine
  • Kreatin
  • Häm
  • Kollagene
  • Elastin etc.

 

📌 Glycin hat mannigfaltige Funktionen im Stoffwechsel und kann bei sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern zur Anwendung kommen.

 

 

 

 


Glycin im zentralen Nervensystem

Glycin ist ein inhibitorischer Neurotransmitter an glycinergen Rezeptoren im Stammhirn und Rückenmark. Außerdem ist Glycin ein Agonist an den NMDA-Rezeptoren, die ja bekanntlich für Lernvorgänge und Gedächtnisbildung eine zentrale Rolle spielen. Es gibt auch Hinweise, dass Glycin Gedächtnisleistungen beeinflussen kann. Bereits 1999 wurde publiziert, dass Glycin in einer biologisch aktiven Form (Bioglycin) bei Erwachsenen jüngeren und mittleren Alters Gedächtnisleistungen und Aufmerksamkeit verbesserte. Wissenschaftler aus China formulierten in einem Fachartikel die Vermutung, dass Glycin im Hippocampus einen wichtigen regulierenden Effekt auf die Nervenerregbarkeit hat. Dadurch würden auch Lernvorgänge und Gedächtnis beeinflusst.

 

Glycin bei Angststörungen


Glycin und ZNSDer kanadische Orthomolekularmediziner Jonathan E. Prousky hat 2005 einen Newsletter zur orthomolekularen Behandlung von Angststörungen publiziert. Glycin habe angstlösende Eigenschaften. Der Wirkmechanismus von Glycin beruhe wahrscheinlich auf einem Antagonismus zu Noradrenalin. Glycin könne die Freisetzung von Noradrenalin aus dem Locus coeruleus hemmen, wodurch die Entstehung von Ängstlichkeit sowie eine Übererregbarkeit gedämpft würden. Glycin solle zweckmäßigerweise sublingual eingenommen werden. Prousky empfiehlt zur Vermeidung einer akuten Panikattacke zunächst die Anwendung von 2 g Glycin, wobei diese Dosis im Bedarfsfall mehrfach wiederholt werden kann.

Es gibt inzwischen eine beträchtliche Anzahl von Studien in denen nachgewiesen wurde, dass Glycin auch bei der Behandlung der Schizophrenie von Nutzen ist. Glycin kann vor allem das Auftreten von Negativsymptomen beeinflussen.

Japanische Wissenschaftler untersuchten in drei kleineren Studien den Effekt einer Glycinsupplementierung auf die Schlafqualität. Durch die Glycingabe wurde eine Verbesserung der Schlafqualität nachgewiesen. Außerdem zeigte sich nach dem Erwachen eine bessere Tagesbefindlichkeit, wenn Glycin am Abend zuvor eingenommen wurde.

Erkrankungen des Bewegungsapparates und Glycin

Glycin und BewegungsapparatGlycin ist in großen Mengen in den Kollagenmolekülen enthalten, jede dritte Aminosäure ist Glycin. Eine unzureichende Glycinverfügbarkeit kann also die Bildung der Kollagene beeinträchtigen. Eine Studie der Universität Teneriffa konnte nachweisen, dass eine Glycinsupplementierung zu einer deutlichen Besserung von Arthrosebeschwerden führte. 2018 publizierte die Universität Teneriffa, dass die Kollagensynthese in einer Kultur von Gelenkknorpelzellen wesentlich durch das Glycinangebot bestimmt wurde. Die gleiche Forschergruppe hatte bereits 2009 veröffentlicht, dass die endogene Glycinsynthese nicht den Glycinbedarf für die Kollagensynthese decken könne. Deshalb sei Glycin als semi-essenzielle Aminosäure einzustufen.

Glycin bei Stoffwechselerkrankungen

Bei Übergewicht/ Adipositas, Typ-2-Diabetes und nichtalkoholischer Fettlebererkrankung wurden häufig verminderte Glycinkonzentrationen im Plasma nachgewiesen. Die physiologischen Glycinkonzentrationen im Plasma liegen zwischen 200 und 300 Mikromol pro Liter. Im Vergleich zu Kontrollpersonen hatten Patienten mit nichtalkoholischer Fettlebererkrankungen zwischen 9 und 13 Prozent niedrigere Glycinspiegel. Verminderte Glyinkonzentrationen waren auch mit hepatischer Insulinresistenz assoziiert. Die Glycinspiegel sind bei Patienten mit Übergewicht und Typ-2-Diabetes im Vergleich zu Kontrollpersonen nicht nur konsistent niedriger, sondern auch mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes assoziiert.

Die Glycinaufnahme über die Nahrung liegt zwischen eineinhalb und drei Gramm täglich, abhängig von der Proteinaufnahme. Die Art der Proteine spielt hierbei eine wichtige Rolle; bei Vegetariern und Veganern waren die Glycinkonzentrationen im Plasma höher als bei Fleischessern.

Es gibt erste Hinweise, dass eine Glycinsupplementierung bei ausgewählten Patienten mit Übergewicht oder Prädiabetes die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes vermindern könnte.

Es spricht einiges dafür, dass Glycin über eine Beeinflussung der Glutathionverfügbarkeit wirkt. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes waren die Glutathionkonzentrationen in den roten Blutkörperchen 60 Prozent niedriger als bei gesunden Kontrollpersonen.
Glutathion ist ein Tripeptid, für dessen Bildung Cystein, Glutaminsäure und Glycin erforderlich sind. Meist wird Cystein als der limitierende Faktor für die Glutathionsynthese angesehen. Die endogene Glycinsynthese scheint aber nicht immer für eine ausreichende Glutathionbildung auszureichen.

Glycin ist wichtig für Entgiftungsreaktionen und für die Bildung von Gallensäuren

Die Bindung verschiedener Metabolite an Glycin ist ein wichtiger Schritt bei Entgiftungsreaktionen, weil dadurch die zu entgiftenden Substanzen wasserlöslich werden und mit dem Urin ausgeschieden werden können. Die Gallensäuren werden entweder an Glycin oder Taurin gebunden. Beim erwachsenen Menschen dominiert hierbei die Bindung an Glycin, sie ist dreieinhalbfach höher als die Bindung an Taurin.

Weitere Eigenschaften von Glycin

Glycin hat entzündungshemmende und leberschützende Eigenschaften. Neuerdings gibt es auch Hinweise auf eine antioxidative Wirkung sowie auf einen Schutzeffekt gegen die Bildung von AGEs. Glycin hat auch antientzündliche Eigenschaften durch Beeinflussung von Chloridkanälen in Immunzellen. Dies könnte zum Beispiel bei entzündlichen Lebererkrankungen eine Rolle spielen.

 

Referenzen:

  • Anaïs Alves, Arthur Bassot et al.: Glycine Metabolism and Its Alterations in Obesity and Metabolic Diseases; Nutrients. 2019 Jun; 11(6): 1356.
  • Oren Rom, Luis Villacorta et al.: Emerging therapeutic potential of glycine in cardiometabolic diseases: dual benefits in lipid and glucose metabolism; Curr Opin Lipidol. Author manuscript; available in PMC 2019 Oct 1.
  • McCarty MF, O'Keefe JH et al.: Dietary Glycine Is Rate-Limiting for Glutathione Synthesis and May Have Broad Potential for Health Protection; Ochsner J. 2018 Spring;18(1):81-87.
  • Bannai M, Kawai N: New therapeutic strategy for amino acid medicine: glycine improves the quality of sleep; J Pharmacol Sci. 2012;118(2):145-8. Epub 2012 Jan 27.
  • diagnostisches-centrum.de: Angststörungen: Was können Mikronährstoffe bewirken?