Aspekte des Aminosäurenstoffwechsels
Mikronährstoffmedizin ist ja letztlich nichts anderes als angewandte Biochemie. Um die Wirkung der Mikronährstoffe zu verstehen, ist es auch wichtig, sich mit den Grundkenntnissen der Biochemie zu beschäftigen. Das gilt auch für die Aminosäuren, deshalb einige Aspekte des Aminosäurenstoffwechsels:
Sowohl Insulin wie auch Glucagon führen zu einer Verkleinerung des Aminosäurenpools im Blutplasma, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Insulin hemmt den Proteinabbau im Muskel und steigert die Aufnahme von verzweigtkettigen Aminosäuren, deren Konzentration dann im Blutplasma, im Vergleich zu den anderen Aminosäuren, überproportional sinkt. Glucagon hingegen steigert vor allem in der Leber die Aufnahme von Alanin, Serin und ähnlichen kleinen Aminosäuren und deren Umwandlung in Harnstoff und Glukose.
Glukokortikoide, wie zum Beispiel Cortisol, verstärken den Proteinabbau im Skelettmuskel und erhöhen die Konzentration der Aminosäuren im Blutplasma. Adrenalin wirkt zwar nicht so stark katabol wie die Glukokortikoide, es erhöht aber die Zufuhr glukosebildender Aminosäuren in die Leber.
Aminosäuren im Dünndarm
Die Zellen des Dünndarms nutzen nahezu 100 Prozent des angebotenen Glutamats und ca. 70 Prozent des Glutamins zur ATP-Bildung. Das heißt, die erwähnten Aminosäuren werden sozusagen als Energieträger verstoffwechselt. Das Arginin aus der Nahrung wird in den Dünndarmzellen zu Ornithin und Citrullin umgebaut. Das so gebildete Citrullin wird anstelle des Arginins an das Pfortaderblut abgegeben und dann letztlich in der Niere wieder in Arginin umgewandelt. Dadurch wird verhindert, dass größere Mengen Arginin in die Leberzellen gelangen. Arginin ist ein sehr starker Aktivator des Harnstoffzyklus. Eine hohe Argininkonzentration in der Leber würde dazu führen, dass der Organismus durch eine hohe Harnstoffausscheidung viel Stickstoff verliert.
Aminosäuren in der Leber
Die Leber ist das einzige Organ, das alle Aminosäuren verstoffwechseln kann. Die Leber kann Glutamin sowohl aufbauen wie auch abbauen. Dies ist besonders wichtig zur Stabilisierung des pH-Wertes des Blutes. Wenn der Blut-pH-Wert von 7,4 auf 7,3 sinkt, wird die Harnstoffsynthese in der Leber um ca. 70 Prozent vermindert. Stattdessen bilden dann einige Leberzellen vermehrt Glutamin, das in den Nieren zur Ausscheidung von Protonen verstoffwechselt wird. Die Leber ist also auch ein wichtiges Organ zur Regulierung des Säure- Basen-Haushalts durch Modulierung des Glutaminstoffwechsels.
Aminosäuren im Skelettmuskel
Der Skelettmuskel macht bei Normalgewichtigen etwa 40 Prozent der Körpermasse aus und enthält 50 bis 70 Prozent des Körperproteins. Die verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin werden von der Muskulatur aufgenommen. Nur die Muskulatur enthält in ausreichender Menge die Enzyme, die für die Verstoffwechselung der verzweigtkettigen Aminosäuren erforderlich sind. Die verzweigtkettigen Aminosäuren werden sowohl zum Aufbau von Muskelprotein wie auch zur ATP-Synthese verwendet. Letzteres erfolgt bei körperlicher Anstrengung.
Aminosäuren im Gehirn
Das Gehirn spielt im Aminosäurenstoffwechsel quantitativ keine große Rolle. Sehr wichtig für die Gehirnfunktion ist aber die Aufnahme kleiner Mengen von Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanin. Diese Aminosäuren sind Vorstufen für die Bildung von Neurotransmittern. Eine wichtige Rolle für die Aufnahme dieser Aminosäuren in das Gehirn spielt Insulin. Insulin fördert die Aufnahme der verzweigtkettigen Aminosäuren in die Skelettmuskulatur und erleichtert den Durchtritt von Tryptophan und Tyrosin durch die Blut-Hirn-Schranke.
Zum Schluss noch ein paar Sätze zur Einteilung der Aminosäuren in essenziell und nicht essenziell: Bekanntlich müssen die essenziellen Aminosäuren mit der Nahrung zugeführt werden. Dabei handelt es sich um Lysin, Methionin, Threonin, Phenylalanin, Tryptophan, Leucin, Isoleucin und Valin. Neuerdings werden fünf Aminosäuren als bedingt essenziell eingestuft. Die Eigensynthese von Histidin und Arginin ist im Menschen zwar möglich, jedoch nicht immer ausreichend. Die körpereigene Bildung ist zu gering in der Wachstumsphase und bei größeren Umbauprozessen, wie nach Operationen. Die Aminosäuren Tyrosin, Cystein und Taurin können aus den essenziellen Aminosäuren gebildet werden, aber halt nur dann, wenn letztere in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
Referenz:
Regina Fluhrer, Wolfgang Hampe: Biochemie und Molekularbiologie; Elsevier, 1. Auflage 2020