Der Einfluss der Ernährung auf die Psyche

Welche Zusammenhänge sind bekannt?

Unbestritten sind falsche Ernährungsgewohnheiten ein Hauptrisikofaktor für viele Zivilisationskrankheiten. Wir wissen heute, dass durch eine angemessene Ernährungsweise nahezu alle Fälle von Übergewicht/ Adipositas und die meisten Fälle von Diabetes mellitus Typ 2 vermieden werden könnten und dass rund 35 Prozent aller Tumorerkrankungen und 50 Prozent aller Fälle von arterieller Hypertonie ebenso ernährungsabhängig sind. Wie sieht es nun auf dem Gebiet der psychischen Erkrankungen aus?

Das menschliche Gehirn benötigt, wie alle anderen Organe auch, eine ausreichende Versorgung mit allen Makro- und Mikronährstoffen, um seine Funktionen erfüllen zu können. Es hat aber im Vergleich zu anderen Organen einige Stoffwechselbesonderheiten. Dazu gehört ein überproportionaler hoher Sauerstoffverbrauch in Relation zum Organgewicht. Die Nährstoffe gelangen auf dem Blutweg nicht direkt zu den Gehirnzellen, sondern müssen zuerst den „Filter“ Blut-Hirnschranke passieren.

Etwa 60 Prozent der Gehirnmasse besteht aus Fettmolekülen, dadurch ist das Gehirn sehr anfällig gegenüber oxidativem Stress und hat einen hohen Antioxidanzienbedarf. Die Nervenzellen können keine Fettsäuren verbrennen; sie sind deshalb auf Glukose als Energieträger angewiesen, weshalb die Glukoseversorgung des Gehirns für den Organismus absolute Priorität hat. Der Organismus verwendet zur Glukoneogenese verschiedene Metabolite wie Laktat, glukogene Aminosäuren und Glycerin.

Von zentraler Bedeutung für das Fühlen, Denken und Handeln - also für alle mentalen Prozesse - sind chemische Signalsubstanzen, zu denen Neurotransmitter, Neuropeptide, Neurohormone und Neuromodulatoren gehören. An zahlreichen neurochemischen Reaktionen sind Vitamine oder Spurenelemente beteiligt. Wenn diese nicht ausreichend zur Verfügung stehen, kommt es zu Störungen von kognitiven Leistungen oder zu psychischen Befindlichkeitsstörungen. Bei Kindern z. B. kann ein Eisenmangel zu Lernstörungen führen.

Anfang 2006 wurden zwei umfangreiche Untersuchungen aus Großbritannien zum Themenkomplex Ernährung und Psyche publiziert. Eine Arbeit stammt von der britischen Verbraucherorganisation Sustain, die andere von der Mental Health Foundation; beide sind komplett auf der Homepage der Mental Health Foundation verfügbar.

 

Die Essenz dieser Publikationen ist:

Die immer schlechtere Ernährung
bewirkt bei der britischen Bevölkerung Depressionen
und schwächt Gedächtnis und Konzentration.
 

Der starke Anstieg der industriellen Landwirtschaft führte durch den Einsatz von Pestiziden zu einer Veränderung des Tierfutters und in der Folge zu einem veränderten Aufbau des Körperfettgewebes der Tiere. Nur 13 % der Männer und 15 % der Frauen halten sich an die offizielle Empfehlung, mehr als fünfmal täglich Obst und Gemüse zu essen. Zudem ist das Fehlen von Aminosäuren in der Nahrung bedenklich, da dieses Manko zu Depressionen und Apathie führen und sich negativ auf die Motivation und die Entspannungsfähigkeit auswirken kann. Eine der Autorinnen der Studie, Courtney Van de Weyer, sagte dazu Folgendes: „Wer seinen Körper gut ernährt, ernährt damit auch seinen Geist gut. Aber ohne  radikale Änderungen in der Landwirtschaft wird es in Zukunft keine gesunde und nahrhafte Nahrung geben.“

Anfang Februar fand unter Beteiligung ver­schiedener Wissenschaftler und des schottischen Erziehungsministers in Edinburgh eine Konferenz zum Thema Ernährung, Verhalten und Junk-Food-Generation statt. Man geht heute davon aus, dass etwa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in irgendeiner Form Lernprobleme hat. Der Tenor der Konferenz war: Junk-Food hat die Gehirne der Kinder geschädigt.

Eine abschließende wissenschaftliche Beurteilung der Zusammenhänge zwischen Ernährung und Psyche ist derzeit noch nicht möglich, da darüber bislang wenig geforscht wurde. Erfreulicherweise findet man jedoch in dem Bericht von Sustain eine ausführliche Darstellung der derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema.

 

Exemplarisch seien hier einige Forschungsergebnisse vorgestellt:

 
Deshalb kann bei vielen psychischen Störungen
die Orthomolekulare Medizin sinnvoll und
erfolgsversprechend eingesetzt werden.
 

Hauptansatzpunkte einer Therapie mit Mikronährstoffen sind der Neurotransmitterstoffwechsel, die Durchblutung des Gehirns, der antioxidative Schutz des Gehirns und der Energiestoffwechsel. Dabei geht es nicht nur um den Ausgleich von Mikronährstoffdefiziten, sondern auch um eine individuell angepasste Versorgung, die einem erhöhten Mikronährstoffbedarf in besonderen Lebenssituationen, z. B. bei psychischem Dauerstress, gerecht wird.

 

Lithium bei Stimmungsschwankungen

Bezüglich des therapeutischen Einsatzes von Mikronährstoffen gibt es immer wieder neue und interessante Aspekte. So ist vor kurzem in Toronto ein Buch von Abraham Hoffer und Jonathan Prousky erschienen mit dem Titel „Naturopathic Nutrition“. Abraham Hoffer ist einer der Pioniere auf dem Gebiet der Mikro nährstoffbehandlung bei psychiatrischen Störungen.

Hoffer empfiehlt, es bei leichteren Stimmungsschwankungen mit 5 mg Lithiumaspar­tat oder Lithiumorotat pro Tag zu versuchen, da er dieses Spurenelement mit gutem Erfolg bei psychischen Befindlichkeitsstörungen eingesetzt hat. Es ist hinreichend bekannt, dass Lithium eine wirksame Substanz zur Rezidivprophylaxe von bipolaren affektiven Störun­gen ist. Für eine diesbezügliche Behandlung sind allerdings Plasmaspiegel von 0,4 bis 1,0 mmol/ l erforderlich. Lithium kommt auch phyisologischerweise im menschlichen Organis­mus und im Blutplasma vor, wobei eine Essentialität von Lithium bislang nicht nachgewiesen ist.

Es gibt keine definierten Lithiummangelsymptome beim Menschen. Allerdings liegen einige wissenschaftliche Hinweise für den Zusammenhang zwischen einer geringen Lithiumzufuhr und psychischen Auffälligkeiten vor: Frühere Studien von Dawson und Mitarbeitern beschrieben erstmalig einen potenziellen Zusammenhang zwischen einer geringen Lithiumzufuhr und Verhaltensstörungen bzw. erhöhter Aggressivität bei Menschen (Dawson et al 1970; 1972). Dabei zeigte sich eine signifikante inverse Wechselbeziehung zwischen der Anzahl von Gewaltverbrechen bzw. Klinik­einweisungen auf Grund psychischer Störun­gen und der Höhe des Lithiumgehalts des Trinkwassers. Außerdem korrelierten die Lithiumkonzentrationen im Harn negativ mit dem Auftreten einer Schizophrenie. In einer ähnlichen US-amerikanischen Studie korrelierte ein niedriger Lithiumgehalt des Trinkwassers sowohl mit der Inzidenz verschiedener Verbrechen als auch mit Suizid. Bemerkenswert ist auch eine placebokontrollierte Studie mit ehemaligen Drogenabhängigen, bei denen über vier Wochen täglich 400 µg Lithium supplementiert wurde. Diese Menge entspricht etwa einer natürlichen diätetischen Zufuhr. Dabei waren in der Lithiumgruppe deutliche Verbesserungen der Stimmungslage zu erkennen, während Versuchspersonen, die das Placebopräparat einnahmen, keine eindeutigen Veränderungen aufwiesen (Schrauzer und de Vroey, 1994).

Der stimmungsverbessernde Effekt von Lithium könnte mit einer erhöhten Aktivität der Monoaminooxidase in Verbindung gebracht werden, die bei einem Lithiummangel vermindert ist. Es wurde auch nachgewiesen, dass Lithium den Transport von Folsäure und Vitamin B12 in die Zellen verbessern kann. Diese Tatsache könnte auch den beobachteten Lithiumeffekt erklären, da Vitamin B12 und Folsäure die psychische Befindlichkeit in erheblichem Umfang beeinflussen können. Aus diesem Grunde dürfte eine Supplementierung von Lithium zusammen mit B1 B12 und Folsäure noch effektiver sein als eine Monotherapie mit Lithium, B12 oder Folsäure.

 

Glycin bei Angstzuständen und Panikattacken

In „naturopathic nutrition“ wird empfohlen, bei akuten Angstzuständen oder Panikattacken 2-10 g Glycin sublingual zu verabreichen. Den anxiolytischen Effekt von Glycin erklären Hoffer und Prousky wie folgt: Glycin wirkt als Gegenspieler von Noradrenalin. Es verhindert die Freisetzung von Noradrenalin aus dem Locus coeruleus und damit die Aktivierung des Nu­cleus accumbens. Letzteres ist sozusagen der Vermittler der Angst- und Panikzustände. Glycin gehört zu den Aminosäuren mit wichtigen Aufgaben im zentralen Nervensystem. Es fungiert als Neurotransmitter an seinen eige­nen Rezeptoren im Hirnstamm und im Rücken­mark, außerdem ist es ein Co-Agonist an den NMDA-Rezeptoren – einer bedeutsamen Grup­pe der Glutamatrezeptoren.

Glycin verbessert auch die Schlafqualität. In einer kleineren placebokontrollierten japani­schen Studie, die in der Zeitung „Sleep and Biological Rhythm“ vor kurzem publiziert wur­de, erhielten 19 Probanden drei Gramm Gly­cin vor dem Schlafengehen. Am nächsten Morgen wurde die Schlafqualität anhand von Fragebögen überprüft. Glycin verminderte sig­nifikant das Müdigkeitsgefühl.

 

Kasuistik

Zum Schluss noch ein Fallbeispiel: Es handelt sich um einen 23 -jährigen jungen Mann, der seit drei Jahren an erheblichen Angst- und Pa­nikattacken leidet und sich deswegen auch in stationärer psychiatrischer Behandlung be­fand. Dies erbrachte aber keine Besserung seines Zustandes.

Das Ergebnis einer gezielten Mikronährstoffanalyse, speziell auf die psychische Störung abgestimmt:

 

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Beurteilung

 

Auf Grund der Blutanalyse, die für eine gezielte und effektive Behandlung unerlässlich ist, wurde dem Patienten die Einnahme folgender Nahrungsergänzungsmittel bzw. Medikamente empfohlen (Tagesdosis):

Aminosäurepulver
aus 160 g Glutamin
und 40 g Tryptophan
Dosierung:     5 g

Vitamin D:     2000 IE
Selen:             300 µg
Folsäure:       1200 µg
Vitamin B6:       10 mg
Vitamin B12       20 µg

 

Nach ca. dreiwöchiger Therapie berichtete der Patient über eine deutliche Verbesserung seiner psychischen Befindlichkeit; er habe wieder mehr Lebensfreude und sei wieder arbeitsfähig.

 

 

Referenzen:
  1. Courtney Van de Weyer: Changing Diets, Changing Minds: how food affects mental wellbeing and behaviour; Sustain
  2. Feeding minds, The impact of food on mental health; Mental Health Foundation
  3. Abraham Hoffer, PhD, MD, FRCP(C), Jonathan Prousky, BPHE, BSc, ND, FRSH: Naturopathic Nutrition; CCNM Press, Toronto 2006
  4. Cem Ekmekciouglu, Wolfgang Marktl: Essenzielle Spurenelemente; Springer Wien New York 2006
  5. Heinrich Kasper: Ernährungsmedizin und Diätetik; Urban & Fischer, 10. Auflage 2004
Veröffentlicht:
CO`MED Nr. 12 - 2006; Autor: Dr. med. Hans-Günter Kugler