Orthomolekulare Medizin bei kardiovaskulären Erkrankungen

Fallbeispiel aus der HG Naturklinik Michelrieth

In einem zeitgemäßen ganzheitlichen Therapiekonzept hat die orthomolekulare Medizin einen erheblichen Stellenwert. Eine ausreichende Verfügbarkeit von Mikronährstoffen ist die Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf aller Reparatur- und Regulationsprozesse des Organismus. Insofern ist die orthomolekulare Medizin eine sinnvolle und logisch nachvollziehbare Basistherapie bei allen Erkrankungen.

 

Mikronährstoffe wie Vitamine, Spurenelemente und Aminosäuren haben vielfältige Wirkungen in der Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So spielt die Aminosäure Arginin eine wesentliche Rolle für die Regulation des Gefäßtonus und für die Endothelfunktion. Die Vitamine C und E schützen LDL-Partikel vor der Oxidation. Cystein kann erhöhte Lipoprotein-(a)-Spiegel senken. Die Vitamine B6, B12 und Folsäure sind essentiell für den Homocysteinabbau.

Durch eine optimale Selenverfügbarkeit und Aktivität der Glutathionperoxidase kann eine erhöhte Thrombozytenaggregation normalisiert werden. Das folgende Fallbeispiel einer 52jährigen Patientin zeigt auf, welchen Stellenwert eine Mikronährstofftherapie im klinischen Alltag hat:

Im Rahmen eines viralen Atemwegsinfektes 11 /02 trat bei der Patientin eine Perimyocarditis mit Pericarderguss auf, begleitet von massiver Herzinsuffizienz und von Herzrhythmusstörungen. Die körperliche Belastbarkeit der Patientin war deutlich vermindert. Bereits bei mittlerer Belastung kam es zu starken Tachykardien und Herzrhythmusstörungen. Vektorcardiographisch zeigte sich eine Linksbelastung. Im Volumen-EKG bestand eine pathologische Volumenreaktion.

Die Patientin wurde zunächst in einer kardiologischen Klinik stationär behandelt und kam dann im Mai 2003 stationär in die HG Naturklinik Michelrieth. Zum Zeitpunkt der Aufnahme bestand noch ein erheblicher psychophysischer Erschöpfungszustand sowie eine erhöhte Arrythmieneigung. Außerdem klagte die Patientin über diverse Nahrungsmittelallergien, ein Colon irritabile sowie ein Cervicobrachialsyndrom.

Die Medikation der Patientin bestand aus Crataegutt novo 450 1 x 1, hochdosiertem Tromcardin forte sowie einem Coenzym Q-Präparat und einem orthomolekularen Komplexpräparat. Nach unserer Erfahrung ist eine gezielte Therapie mit Mikronährstoffen nach vorheriger Labordiagnostik wesentlich effektiver als eine Pauschalsupplementierung. Deshalb führten wir bei der Patientin ein umfangreiches Mikronährstoffscreening im Vollblut/ Serum durch.

Dabei ergab sich der folgende Befund:

Auffällig bei den Aminosäuren war ein sehr niedriger Cysteinwert. Bekanntlich ist Cystein der limitierende Faktor für die Glutathionsynthese und spielt eine wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung der Immunkompetenz (CD4-T-Helfer- und NK-Zell-Aktivität). Ein Mangel an Thiolverbindungen (Cystein und Glutathion) begünstigt eine TH2-Immundominanz und damit die Allergieneigung. Wie bereits erwähnt, waren bei der Patientin Allergien gegen verschiedene Nahrungsmittel nachgewiesen worden. Ein ausreichend hoher Cysteinspiegel ist ein protektiver Faktor für die Endothelfunktion. Cystein ist auch die Ausgangssubstanz für die endogene Taurinsynthese.

Die Taurinkonzentration war bei der Patientin relativ niedrig. Taurin besitzt positiv inotrope, antiarrhythmische und antihypertensive Eigenschaften. Insgesamt ist Taurin die Aminosäure mit der höchsten Konzentration in den Herzmuskelzellen, es moduliert die Membranleitfähigkeit für Kalium- und Calciumionen in der Myocardzelle. In Japan ist Taurin eine häufig verwendete Wirksubstanz bei kardiologischen Erkrankungen und wird besonders zur Behandlung einer akuten Ischämie eingesetzt.

Auffällig war bei der Patientin auch ein ausgeprägter Mangel an Vitamin D3. Zu den Vitamin D-responsiven Geweben gehört auch das Immunsystem. Monozyten und Makrophagen benötigen Calcitriol in allen Stadien der Entwicklung und Differenzierung. Lymphozyten expremieren Vitamin D3-Rezeptoren bei Aktivierung. Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse erhöht ein Vitamin D3-Defizit die Infektanfälligkeit und fördert überschießende Immunreaktionen. Im Januar 2003 erschien im „Journal of the American College of Cardiology“ eine interessante Publikation einer Arbeitsgruppe der Universität Bonn. Bei Herzinsuffizienz-Patienten wurden signifikant verminderte Vitamin D3-Konzentrationen festgestellt. Die Autoren der Studie kamen zu dem Schluss, dass niedrige Vitamin D-Konzentrationen vermutlich ein zusätzlicher Faktor bei der Pathogenese der Herzinsuffizienz darstellen.

Bei der Patientin wurde außerdem eine niedrigere Vitamin C-Konzentration und eine suboptimale Vitamin B2-Konzentration festgestellt. Vitamin C ist das wichtigste wasserlösliche Antioxidans und ist an der endogenen Carnitinsynthese beteiligt. Carnitin ist eine wichtige Substanz für den Energiestoffwechsel des Herzmuskels. Es ist erforderlich für den Transport der Fettsäuren in die Mitochondrien und reguliert die Verfügbarkeit von freiem Coenzym A. Vitamin B2 ist Teil der Glutathionreduktase, es spielt außerdem eine wichtige Rolle im mitochondrialen Energiestoffwechsel.

Aufgrund der Laborergebnisse wurden der Patientin folgende Mikronährstoffe verordnet:

Taurin 80 g, davon 2 g täglich
Vitamin C, 2 x 1 g täglich
Vitamin D3, 1000 E täglich
N-Acetylcystein, 600 mg täglich
Vitamin B2, 4 mg täglich   

Besonders die Einnahme von Taurin und Vitamin D3 wurde von der Patientin sehr positiv beurteilt. Sie berichtete von einer deutlichen Verbesserung ihres Allgemeinbefindens. Bei einer kardiologischen Kontrolluntersuchung nach fünf Wochen zeigte sich eine deutliche Besserung im Langzeit-EKG im Vergleich zum Vorbefund. Supraventrikuläre Tachykardien oder ventrikuläre Extrasystolen wurden nur noch vereinzelt gefunden.

 

Veröffentlicht:
Erfahrungsheilkunde/ 2004; Autor: Dr. med. Arno Schneider