Depressionen und Mikronährstoffe

Depressionen und MikronährstoffeMikronährstoffe sind wichtig für die psychische Befindlichkeit

Rund 20 Prozent der Patienten einer hausärztlichen Praxis leiden unter depressiven Störungen. Depressionen sind inzwischen so häufig, dass man sogar von einer Volkskrankheit sprechen kann. Laut WHO dürften Depressionen bis zum Jahr 2020 die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit sein. Die Erkrankungen des depressiven Formenkreises sind primär durch Störungen der Stimmung und des Antriebs charakterisiert. Häufig steht aber die psychische Symptomatik gar nicht im Vordergrund, vielmehr zeigen sich körperliche Symptome wie Abgeschlagenheit, Gewichtsveränderungen, Schlafstörungen, Schmerzempfindungen am ganzen Körper u.a.

Wie bei anderen Zivilisationskrankheiten dürften für die Entstehung einer Depression auch verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Es kommt zu neurobiologischen Veränderungen, wie zu einer erhöhten Aktivität von CRH und Glukokortikoiden im ZNS, zu einer verstärkten Atrophie des Hypocampus sowie der frontalen Hirnrinde, zu einer Verminderung der noradrenergen und serotonerge Neurotransmission und zu einer Verminderung der Neubildung von Nervenzellen im Hippocampusbereich etc.

Genetische Faktoren spielen eine wichtige Rolle, weitere auslösende Faktoren sind ein langanhaltender psychosozialer Stress, hormonelle Veränderungen, manchmal auch jahreszeitliche Veränderungen, wie bei der so genannten Winterdepression. Chronische Infektionen können Depressionen auslösen, ebenso die Einnahme bestimmter Medikamente wie Antibiotika, Betablocker und Antiepileptika. Bei depressiven Patienten werden oftmals auch messbare biochemische Veränderungen beobachtet, z.B. eine erhöhte Entzündungsaktivität, eine verminderte antioxidative Kapazität, ein vermehrter oxidativer Stress, eine erhöhte Kortisolkonzentrationen und einiges mehr. Daraus ergibt sich auch, dass Stoffwechselveränderungen bei Depressionen in gewissem Umfang auch durch eine geeignete Ernährung beeinflussbar sind, z.B. durch eine vermehrte Zufuhr antioxidativer und antientzündlicher Pflanzeninhaltsstoffe. Eine große Bedeutung hat die Versorgung mit Mikronährstoffen, da diese einen direkten Einfluss auf die pathobiochemischen und pathophysiologischen Veränderungen bei Depressionen haben. Mikronährstoffe modulieren z.B. den Neurotransmittermetabolismus, verbessern die antioxidative Kapazität, vermindern die Entzündungsaktivität, steigern die Bildung von Nervenwachstumsfaktoren, verbessern den Energiestoffwechsel der Nervenzellen uvm.

Bei depressiven Patienten sind häufig Mikronährstoffdefizite nachweisbar. Die Bedeutung der Mikronährstoffe in Bezug auf Depressionen wird im Folgenden dargestellt:

 

Aminosäuren

Cystein ist eine schwefelhaltige Aminosäure, die meist in Form von N-Acetylcystein supplementiert wird aufgrund der höheren chemischen Stabilität dieser Verbindung. NAC ist eine wichtige Ausgangssubstanz für die Glutathionsynthese. Es ist bekannt, dass viele psychiatrische Erkrankungen, u.a. Depressionen, mit oxidativem Stress und erhöhter Entzündungsaktivität einhergehen, so dass dem Glutathion eine besondere Bedeutung zukommt. Im April 2016 wurde eine Metaanalyse zum Stellenwert von N-Acetylcystein bei depressiven Symptomen publiziert. Nach Auswertung der Daten von fünf Studien kamen die Autoren des Fachartikels zu dem Schluss, dass die Verabreichung von N-Acetylcystein depressive Symptome und die Funktionalität verbessert und eine gute Verträglichkeit hat.

Tryptophan
ist die Aminosäure, die generell in Nahrungsmitteln am wenigsten vorkommt. Aus Tryptophan entstehen die Neurotransmitter Serotonin und das Epiphysenhormon Melatonin. Im Bedarfsfall wird Tryptophan auch für die Bildung von NAD(H) und NADP(H) verwendet. Das serotonerge System ist das weitreichendste Transmittersystem des Gehirns. Serotonin entfaltet über verschiedene Serotoninrezeptoren ganz unterschiedliche Effekte. Es beeinflusst die Stimmungslage, was man schon daran erkennen kann, dass eine reduzierte Tryptophanaufnahme über die Nahrung zu Stimmungstiefs führen kann. In klinischen Untersuchungen an psychiatrischen Patienten wurden häufig Veränderungen des serotonergen Systems beobachtet.

Im Rahmen einer Metaanalyse japanischer Wissenschaftler, publiziert im September 2014, wurde untersucht, inwieweit die Tryptophankonzentration im Plasma mit dem Auftreten einer depressiven Episode korrelierte. Die Auswertung der Daten zeigte, dass bei depressiven Episoden typischerweise verminderte Tryptophankonzentrationen im Plasma vorlagen, besonders bei unbehandelten Patienten. Tryptophan und Serotonin spielen zweifellos eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Depressionen. Es besteht aber kein Automatismus dahin gehend, dass bei allen depressiven Patienten ein Tryptophan- oder Serotoninmangel nachweisbar sein müsste.

Tyrosin ist die Ausgangssubstanz für die Bildung der Katecholamine Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. Auch das noradrenerge System kann an der Entstehung von Depressionen beteiligt sein. Der Einfluss einer Tyrosinsupplementierung auf die Stimmungslage ist aber wesentlich weniger gut nachgewiesen als bei Tryptophan. Gut belegt ist, dass Tyrosin in Stresssituationen die Hirnleistungsfähigkeit und körperliche Leistungsfähigkeit verbessern kann. Eine Tyrosinsupplementierung dürfte hauptsächlich bei Stressdepressionen in Frage kommen oder bei Erschöpfungszuständen, die mit depressiven Symptomen vergesellschaftet sind.

 

Vitamine

Vitamin B1 ist für die Energieversorgung der Nervenzellen von zentraler Bedeutung, da diese ihren Energiebedarf ganz überwiegend durch den Abbau von Kohlenhydraten decken. Vitamin B1 ist auch an der Neurotransmission und am Stoffwechsel verschiedener Neurotransmitter beteiligt. Mehrfach wurde nachgewiesen, dass eine Vitamin-B1-Supplementierung zu einer Besserung der psychischen Befindlichkeit führte, selbst wenn noch kein Vitamin-B1-Mangel bestand.
Vitamin B1 konnte auch Depressionen in Zusammenhang mit dem prämenstruellen Syndrom vermindern.

Im März 2016 wurde publiziert, dass bei jüngeren Patienten mit Mayor Depression eine schnelle Besserung der Symptomatik bei einer Kombination SSRI / Vitamin B1 eintrat im Vergleich zu einer ausschließlichen SSRI-Behandlung.

Vitamin B2 ist die Ausgangssubstanz für die Bildung von Flavoenzymen, die wiederum für den Stoffwechsel der Folsäure und für das Glutathionrecycling benötigt werden. Glutathion spielt eine zentrale Rolle für den antioxidativen Schutz des Gehirns. Depressionen sind meist mit oxidativem Stress und einer verminderten antioxidativen Kapazität assoziiert. Durch die Einnahme von trizyklischen Antidepressiva kommt es zu einer vermehrten Ausscheidung von Vitamin B2 und auch zu einer Beeinträchtigung der Umwandlung des Vitamins in seine coenzymatisch-aktive Form.

Vitamin B6 ist eines der wichtigsten Vitamine im Neurotransmittermetabolismus und ist für die Bildung von Serotonin, Noradrenalin, Glutamat und GABA erforderlich. 2013 wurde eine Untersuchung aus Japan publiziert, in der bei städtischen Angestellten ein vermindertes Risiko für depressive Symptome bei einem hohen Vitamin-B6-Status nachgewiesen wurde.

Der Beweis ist aber bisher nicht verbindlich erbracht worden, dass eine Vitamin-B6-Therapie einen erheblichen Einfluss auf Depressionen hätte. Gut belegt ist aber ein positiver Effekt von Vitamin B6 auf depressive Verstimmungszustände im Rahmen eines prämenstruellen Syndroms.

Depressive Patienten haben häufig einen Folsäuremangel, wodurch die Verfügbarkeit von Serotonin im ZNS abnimmt. Folsäure ist auch das wichtigste Vitamin für die Senkung von Homocystein. Erhöhte Homocysteinkonzentrationen sind neurotoxisch und häufig mit depressiven Symptomen assoziiert. Eine kausale Rolle von Homocystein auf die Depressionsentstehung ist aber nicht belegt.

Von großer praktischer Bedeutung ist, dass ein Folsäuremangel die Wirksamkeit von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern beeinträchtigen kann, weshalb grundsätzlich bei einer Therapie mit diesen Wirkstoffen Folsäure supplementiert werden sollte.

Ein Vitamin-B12-Mangel bei depressiven Patienten ist relativ häufig. Bei älteren Menschen besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Vitamin-B12-Konzentration und dem Risiko für Depressionen. Gerade bei älteren Menschen ist eine unzureichende Vitamin-B12-Versorgung aufgrund einer Beeinträchtigung der Vitamin-B12-Resorption sowie der Einnahme häufig verwendeter Medikamente wie Protonenpumpenhemmer und Metformin recht häufig. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass bei Senioren ein Vitamin-B12-Mangel hirnatrophische Prozesse beschleunigt.

Zur Prävention von Depressionen sollte auch auf eine gute Vitamin-C-Versorgung geachtet werden. Psychiatrische Erkrankungen, auch Depressionen, sind sehr häufig mit oxidativem Stress assoziiert, so dass ein Mehrbedarf an antioxidativen Mikronährstoffen besteht.

Vitamin C ist für die Biosynthese verschiedener Neurotransmitter notwendig und auch für die Bildung von Neuropeptiden und Glukokortikoiden. Schon aus diesem Grund spielt Vitamin C für die Stressbewältigung und Stimmung eine bedeutende Rolle. Eine gute Vitamin-C-Versorgung kann Stressfolgen zumindest abschwächen.

Auch eine Supplementierung von Vitamin B3 könnte bei depressiven Patienten in Frage kommen. Vitamin B3 kann in einem gewissen Umfang aus Tryptophan gebildet werden, aber nur bei Aktivierung des Enzyms IDO. Antidepressiva können diese Enzymaktivierung vermindern, so dass möglicherweise bei schlechten Ernährungsgewohnheiten ein Niacinmangel entstehen kann.

Zahlreiche Publikationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass auch dem Vitamin D eine wichtige Bedeutung für die psychische Befindlichkeit zufällt. Studien in verschiedenen Ländern konnten nachweisen, dass ein Vitamin-D-Mangel oder ein suboptimaler Vitamin-D-Status das Auftreten von Depressionen begünstigte. In den Hirnregionen, die an der Stimmungsregulierung beteiligt sind, sind auch Vitamin-D-Rezeptoren nachgewiesen worden. Vitamin D steigerte die Verfügbarkeit von Serotonin im Gehirn, verbesserte die Glutathionsynthese und erhöhte die Bildung von Nervenwachstumsfaktoren.

 

Mineralstoffe und Spurenelemente

Magnesium gilt als der Antistress-Mikronährstoff und ist sowohl für die neuromuskuläre wie auch für die zentralnervöse Erregbarkeit wichtig. In verschiedenen Studien war eine niedrige Magnesiumaufnahme mit Depressionen assoziiert. Im März 2015 publizierten Wissenschaftler der Universität von Vermont, dass eine niedrige Magnesiumaufnahme, besonders bei jungen Erwachsenen, mit Depressionen verbunden war.

Zink ist ein Spurenelement mit einer Vielzahl von Funktionen im Stoffwechsel. Zink wird für die Funktionsfähigkeit verschiedener Neurotransmittersysteme benötigt (Glutamat, GABA, Glycin und Dopamin), was schon nahelegt, dass Zink auch für die Stimmung und für die psychische Befindlichkeit eine Rolle spielt. Eine Metaanalyse kanadischer Wissenschaftler, die Ende 2013 publiziert wurde, hat ergeben, dass Depressionen mit verminderten Zinkkonzentrationen assoziiert waren. Die Metaanalyse beruhte auf Zinkbestimmungen von 1.643 depressiven Patienten und 824 Kontrollpersonen. Zink ist, ähnlich wie Magnesium, ein direkter Antagonist an NMDA-Rezeptoren, was seine antidepressive Wirkung wohl zum Teil erklären kann. Die NMDA-Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle für Lernvorgänge und für die Gedächtnisbildung. Auch die Bildung von BDNF, einem wichtigen Wachstumsfaktor der Nervenzellen, ist zinkabhängig.

Kupfer ist für die Myelinsynthese sowie für die Biosynthese der Katecholamine erforderlich, außerdem für den Neurotransmitterabbau. Ein ausgeprägter Kupfermangel kann daher zu Depressionen führen. Depressive Patienten haben aber häufig erhöhte Kupferkonzentrationen im Rahmen einer erhöhten Entzündungsaktivität.

Eisen ist nicht nur wichtig für den Sauerstofftransport und für die Sauerstoffspeicherung, sondern hat darüber hinaus zahlreiche andere Funktionen im Stoffwechsel. Das Gehirn benötigt Eisen für die Bildung von Serotonin und Dopamin, für die Funktionsfähigkeit von Synapsen, für die Ausbildung von Dendriten sowie für die Myelinsynthese und für den Energiestoffwechsel. Meist gilt die Feststellung einer Eisenmangelanämie als beweisend für einen Eisenmangel, was aber für die Beurteilung der Eisenversorgung keinesfalls ausreichend ist. Auch wenn keine Eisenmangelanämie vorliegt, kann dennoch der Eisenbedarf erhöht sein, insbesondere dann, wenn grenzwertige oder niedrig normale Ferritinkonzentrationen festgestellt werden. Für die mitochondriale ATP-Synthese sind mehrere eisenhaltige Enzymkomplexe erforderlich, so dass eine unzureichende Eisenversorgung zu einer Einschränkung der Energiebildung der Zelle führen kann, die sich dann z.B. in Form von Abgeschlagenheit, Erschöpfung, Depressionsneigung bemerkbar macht. Aber auch bei hohen Ferritinkonzentrationen ist eine sorgfältige Abwägung des Eisenstatus notwendig. Menschen mit Übergewicht haben häufig erhöhte Ferritinkonzentrationen bei gleichzeitig verminderter Eisenaufnahme über den Darm und den typischen Symptomen eines Eisenmangels. Dieses Phänomen wird Dysmetabolic Iron Overload Syndrome (DIOS) genannt und bietet auch eine Erklärung dafür, dass gerade bei übergewichtigen Menschen eine orale Eisentherapie oftmals wenig erfolgversprechend ist, und in diesen Fällen Eiseninfusionen besser wirken.

 

Sonstige Mikronährstoffe

Auch verschiedene andere Mikronährstoffe können bei der Behandlung der Depressionen in Frage kommen, z.B. Omega-3-Fettsäuren, S-Adenosylmethionin, Acetyl-L-Carnitin und Coenzym Q10. 2014 publizierten Wissenschaftler aus Korea einen Übersichtsartikel über die Bedeutung von Acetyl-L-Carnitin bei der Behandlung von Depressionen und konnten nach Auswertung von vier randomisierten klinischen Studien eine Überlegenheit von Acetyl-L-Carnitin gegenüber einem Placebopräparat feststellen. Bei Patienten mit Depressionen kann auch eine mitochondriale Dysfunktion vorliegen, weshalb mitochondriale Mikronährstoffe wie Coenzym Q10 einen gewissen Stellenwert haben. Coenzym Q10 ist bekanntlich an der Elektronenübertragung in der Atmungskette der Mitochondrien beteiligt.

Anmerkung:
Bei depressiven Patienten können sehr unterschiedliche Mikronährstoffdefizite vorliegen. Es ist nicht sinnvoll und zielführend, einfach Mikronährstoffe zu verabreichen, von denen eine Wirkung auf das Nervensystem bekannt ist. Aus diesem Grund sollte zunächst eine Mikronährstoffanalyse erfolgen, bevor eine Mikronährstofftherapie eingeleitet wird.

 

Referenzen:

Autor: Dr. med. Hans-Günter Kugler

Veröffentlichung: AKOM, 3/ 2016

AKOM Depressionen 150
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