Die Rolle von Eisen für Lernen und Gedächtnis

klavier rainersturm pixelio 200 2Eisenmangel gehört zu den häufigsten Mikronährstoffmängeln und betrifft rund 2 Mrd. Menschen weltweit. Obwohl die Anämie die offensichtlichste klinische Manifestation eines Eisenmangels ist, dürften die neuropsychiatrischen Effekte eine sehr große Rolle spielen, weil sie auch nach einer Eisentherapie weiter bestehen können. Ein Eisenmangel in der frühesten Kindheit hingegen, d.h. bis zum Alter von zwei bis drei Jahren, für zu Lern- und Gedächtnisstörungen, die trotz Eisentherapie dann weiter bestehen. Der Hippocampus, der sich in der frühesten Kindheit in Entwicklung befindet, ist besonders anfällig gegenüber einem Eisendefizit.

Bei Erwachsenen bewirkt eine Eisensupplementierung bei einem entsprechenden Eisenmangel das Verschwinden der Symptome. Bei Kindern verhält es sich, wie schon gesagt, anders. Zum Beispiel zeigen elf- bis vierzehnjährige Schulkinder, die als Kleinkinder an Eisenmangel litten, immer noch psychomotorische Störungen sowie verschiedene Hirnleistungs- und Befindlichkeitsstörungen. Wie bereits erwähnt, ist der sich entwickelnde Hippocampus gegenüber einem Eisenmangel besonders empfindlich.

 

Welche zellulären Mechanismen werden durch einen Eisenmangel beeinflusst?

Eisen ist Bestandteil verschiedener Proteine, die für die Hirnentwicklung gebraucht werden. Es konnte z.B. nachgewiesen werden, dass Lern- und Gedächtnisdefizite häufig mit Abnormitäten der eisenhaltigen Proteine verbunden sind. Eisen ist für die Energieproduktion und für den Zellstoffwechsel erforderlich, weil es für verschiedene mitochondriale Enzyme benötigt wird. Zum Zeitpunkt der Geburt verbraucht das Gehirn 50 Prozent der Stoffwechselenergie. Die Hälfte dieser Energie wird dafür verwendet, die Membranpotentiale von Natrium, Kalium und Calcium aufrecht zu erhalten. Ein Eisenmangel reduziert die Anzahl eisenhaltiger Proteine in den Mitochondrien und vermindert die ATP-Synthese. Durch die Eisenverfügbarkeit wird auch die Bildung verschiedener Proteine in den Nervenzellen reguliert, z.B. das Protein prolyl hydroxylase. Dieses wiederum reguliert ein Signalmolekül mit der Bezeichnung HIF (Hipoxia inducible factors). Eine abnorme Aktivierung von HIF führt zu einer Dysregulation des Zellstoffwechsels der Nervenzellen und zu einer Fehlbildung.

Einen weiteren wichtigen zellulären Prozess, der eisenabhängig ist, stellt der Stoffwechsel der Nukleinsäuren dar. Bei einem Eisenmangel kommt es zu Störungen verschiedener Gene, die für den Nervenstoffwechsel notwendig sind, u.a. Gene für die Myelinbildung, für Neurotransmitterrezeptoren u.v.m. Eisen scheint auch für die Bildung und Freisetzung von BDNF eine Rolle zu spielen. BDNF ist ein Neurotrophin, d.h. ein Wachstumsfaktor, der für die Struktur der Dendrite und für die synaptische Plastizität verantwortlich zeichnet. BDNF-Signale sind unerlässlich, um das Zellüberleben und die Zelldifferenzierung während der Entwicklung des Hippocampus sicherzustellen. Die Verfügbarkeit von Eisen hat auch einen wichtigen Einfluss auf den mTOR-Signalweg. Dieser Signalweg spielt eine wesentliche Rolle für die Bildung neuronaler Strukturen und insgesamt für den Ernährungszustand der Nervenzellen. Wie bereits oben erwähnt, wird Eisen für den Stoffwechsel der Mitochondrien benötigt. Die Mitochondrien wiederum beeinflussen über verschiedene Signalwege auch den Stoffwechsel der Nervenzellen. Es kommt bei einem Eisenmangel nicht nur zu einer Störung der ATP-Synthese, sondern auch anderer Mitochondrienfunktionen. Bei einem Eisenmangel ist auch der Status der Schilddrüsenhormone betroffen. Die Schilddrüsenhormone sind für die Entwicklung der Nervenzellen und der Oligodendrozyten erforderlich. Ebenso werden die verschiedenen Phasen der Reifung der Nervenzellen über Schilddrüsenhormone reguliert.

Ein Eisenmangel in der frühen Kindheit beeinträchtigt auch die Bildung der Myelinscheiden, die in der späten Fötalperiode beginnt und bis zum dritten Lebensjahr besteht. Eisen ist für die Dopaminbildung erforderlich: Die Tyrosinhydroxilase ist ein eisenhaltiges Protein, das für die Dopaminsynthese von zentraler Bedeutung ist. Der Hippocampus enthält zwar keine dopaminergen Neuronen, allerdings wird Dopamin für die Gedächnisbildung im Hippocampus und für das Lernen gebraucht. Störungen des Dopaminstoffwechsels führen zu Lern- und Gedächtnisproblemen.

Eisen ist also in vielfältiger Weise für den Hirnstoffwechsel unverzichtbar; ein Eisenmangel hat somit zwangsläufig weitreichende Störungen im Hirnstoffwechsel zur Folge. Selbst wenn ein Eisenmangel in der frühesten Kindheit behandelt wird, sind Störungen der Hirnfunktion kaum noch vermeidbar. Daraus ergibt sich, dass sowohl in der Schwangerschaft als auch im Säuglingsalter und Kleinkindalter unbedingt auf eine ausreichende Eisenversorgung geachtet werden muss.

 

Referenz:
Stephanie J.B. Fretham et al.: The role of iron in learning and memory; American Society for Nutrition. Adv. Nutr. 2: 112-121, 2011
 
Autor:
Dr. Hans-Günter Kugler, Mai 2011